Wie entsteht ein Fahrplan?
Die Entwicklung eines Fahrplans für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) ist ein langer interaktiver Prozess mit allen Beteiligten. Denn die Anforderungen sind komplex – besonders wenn große infrastrukturelle Veränderung anstehen, die tief in die bestehenden Fahrpläne eingreifen.
Das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm mit der Inbetriebnahme des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs im Dezember 2025 ist zum Beispiel eine solche Veränderung.
Vom Konzept zum fertigen Fahrplan
Langfristplanung
Bei der Gestaltung eines Fahrplans sind zahlreiche Aspekte zu berücksichtigen. Die Planungen starten daher schon viele Jahre im Voraus. So auch die Entwicklung des „Angebotskonzepts 2020“ für Baden-Württemberg, die bereits vor 2010 begonnen hat.
Im Zentrum stehen die Bedürfnisse der Fahrgäste: Damit sie ihre Ziele schnell und zuverlässig erreichen können, muss der Fahrplan regelmäßige Reisemöglichkeiten bieten. Für Reisende ist neben der Fahrtzeit zwischen Start- und Endbahnhof vor allem die Gesamtreisezeit von Haustür zu Haustür relevant. Die Planungen folgen dem Prinzip des Integralen Taktfahrplans (ITF). Ziel des ITF ist es, dass alle Stationen regelmäßig über den ganzen Tag und an allen Wochentagen bedient werden und die Züge einer Linie stets zur selben Minute ankommen und abfahren. Zusätzlich achtet die Fahrplanung auf verlässliche und attraktive Anschlussverbindungen: An Knotenbahnhöfen werden unterschiedliche Bahn- und Buslinien miteinander verknüpft und somit die Taktfahrpläne verschiedener Verkehrsnetze aufeinander abgestimmt. Auch Fern- und Nahverkehr werden bestmöglich miteinander vernetzt.
Den Rahmen für die Fahrplanerstellung bildet die vorhandene Schieneninfrastruktur:
- Welche Strecken verfügen über zwei oder mehr Gleise?
- Welche Abschnitte sind eingleisig?
- Wo befinden sich Bahnhöfe, an denen sich Züge begegnen können?
- Welche Strecken haben eine Oberleitung und können mit elektrischen Fahrzeugen befahren werden?
- Wie lang sind die Bahnsteige an den Stationen? Welche Länge können demnach die dort haltenden Züge maximal haben?
- Wie hoch ist die Bahnsteighöhe? Mit welcher Einstiegshöhe kann die größtmögliche Barrierefreiheit bei den Fahrzeugen erzielt werden?
Darüber hinaus fließen weitere Informationen in die langfristige Planung ein – etwa über die sich abzeichnende Bevölkerungsstruktur, mögliche Siedlungs- oder Arbeitsschwerpunkte sowie über die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und deren Entwicklung.
Schließlich bestimmt die Auslastung der einzelnen Strecken den Fahrplan. Wichtig ist, dass Engpässe und mögliche Konflikte erkannt und entschärft werden.
Mittelfristplanung
Aus dem langfristigen Fahrplankonzept entsteht ein detaillierter Ausschreibungsfahrplan. Er enthält alle geplanten Fahrten und zentralen Merkmale der einzusetzenden Fahrzeuge – insbesondere mit Blick auf die Kapazitäten. Die Umsetzbarkeit des Plans wird sichergestellt, indem er mit den zuständigen Infrastrukturbetreibern abgestimmt wird. Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) können sich in einem EU-weiten Ausschreibungsverfahren auf die ausgeschriebenen Leistungen bewerben.
Das Unternehmen mit dem wirtschaftlichsten Angebot erhält den Zuschlag. In einem Verkehrsvertrag zwischen dem Land Baden-Württemberg und dem beauftragten EVU werden wichtige Aspekte wie etwa Kriterien zur Qualitätssicherung verankert. In der Mittelfristplanung wird mittels einer Eisenbahnwissenschaftlichen Untersuchung (EBWU) auch die Robustheit der vorgesehenen Fahrpläne untersucht und hergestellt.
Jahresfahrplanung
Basierend auf dem Ausschreibungsfahrplan entsteht ein Entwurf für den Jahresfahrplan. Dieser wird mit Landkreisen, Kommunen und Nachbaraufgabenträgern – beispielsweise bei Verkehren nach Bayern mit der Bayerischen Eisenbahngesellschaft BEG oder in der Region Stuttgart mit dem Verband Regio Stuttgart VRS – abgestimmt.
Bei der Jahresfahrplanung spielen die zu erwartende Zahl an Fahrgästen, nötige Umsteigezeiten und mögliche Anschlussverbindungen eine wichtige Rolle. Auch Erfahrungen aus dem Vorjahr etwa zur Betriebsqualität fließen mit ein, ebenso die Wünsche der Fahrgäste, die sich jährlich im Februar bei der Fahrplanerstellung beteiligen können.
Auch unterjährige Anpassungen werden gemeinsam mit den EVU und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen geplant. Bei Veranstaltungen werden Platzkapazitäten angepasst oder Sonderzüge geplant (z. B. Fußballzüge). Bei Baustellen kommen Ersatzkonzepte zum Einsatz, die die Hürden für die Fahrgäste so gering wie möglich halten und möglichst eine durchgehende Reisekette aufrechterhalten.
Fahrplankonferenzen
Die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) veranstaltet einmal im Jahr sogenannte Fahrplankonferenzen. In einer Hauptkonferenz sowie einer Serie von Regionalkonferenzen stellt sie die Fahrplanentwürfe in der jeweiligen Region vor, präsentiert dort die regionalen Änderungen für den neuen Jahresfahrplan und diskutiert gemeinsam mit den eingeladen Fahrgastvertretenden mögliche Wünsche.
Teilnehmende sind die Industrie- und Handelskammer Baden-Württemberg, Landkreise, Verkehrsverbünde, Regionalverbände, Kommunen und Verkehrsunternehmen, Fahrgastverbände der einzelnen Regionen sowie der Tourismusverband Baden-Württemberg, Schuleinrichtungen und größere Betriebe. So ist sichergestellt, dass die Belange der Wirtschaft und die der Raumplanung in die Angebotsüberlegungen einfließen. Auch sachkundige Bürgerinnen und Bürger sind vertreten.
Im Mittelpunkt der Fahrplankonferenzen steht zunächst die Auswertung des aktuellen Jahresfahrplans. Die Ergebnisse fließen in die Gestaltung des neuen Jahresfahrplans ein. Weitere Themen sind die Baustellenplanung und die Verknüpfung zwischen Bus- und Schienenverkehr. Die Beteiligten können zusätzlich Fahrplananträge stellen, die nach Prüfung auf Umsetzbarkeit in den Jahresfahrplan eingearbeitet werden.
Von der Feinplanung zum fertigen Fahrplan
- Anhand der Fahrplanentwürfe der NVBW ermitteln die EVU die notwendigen Fahrzeuge und Personalkapazitäten. Vor allem Fragen zur Verfügbarkeit und Kapazität der Fahrzeuge sowie zu den notwendigen Zeitfenstern zum Reinigen, Tanken und Rangieren stehen im Fokus. Ebenso wichtig: Fahrzeuge und Personal müssen am Ende ihres Einsatzes wieder an ihren Ausgangspunkt gelangen.
- Ist der vorgesehene Fahrplan umsetzbar, gibt ihn das Land Baden-Württemberg bzw. die NVBW bei den EVU in Auftrag (Fahrplanbestellung).
- Daraufhin reicht jedes EVU seine Fahrpläne bei den zuständigen Infrastrukturbetreibern ein. Meist ist das die DB InfraGO, aber auch andere Betreiber wie die Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) oder die Südwestdeutsche Landesverkehrs-GmbH (SWEG) besitzen eigene Strecken.
- Die Infrastrukturbetreiber prüfen die Fahrpläne und erstellen einen Gesamtfahrplan für alle Strecken in ihrem Zuständigkeitsbereich. Dabei werden sämtliche geplanten Nah-, Fern- und Güterverkehre regionen- und länderübergreifend berücksichtigt. Der Fahrplan jedes Zugs muss dabei vom Infrastrukturbetreiber gemäß seinen Richtlinien konstruiert werden können. Das bedeutet: Es darf keine Konflikte zwischen zwei Zügen geben und vorgegebene Pufferzeiten in der Zugfolge sowie bei Zugkreuzungen müssen eingehalten werden. Treten Konflikte mit Fernverkehrs- oder Güterzügen auf, die keinem Taktfahrplan folgen, muss ein Zug verschoben werden. So kann es zum Beispiel bei einzelnen Regionalzügen zu Taktabweichungen kommen. Ziel ist dabei, die Robustheit des Fahrplans zu gewährleisten.
- Der Jahresfahrplan steht im Herbst fest und tritt am zweiten Sonntag im Dezember in Kraft (internationaler Fahrplanwechsel). Er wird als Aushang, im Kursbuch und in den digitalen Auskunftsmedien veröffentlicht.